Kleines Mädchen hält ihre Eltern an den Händen am Abendessen, am Tisch sitzend
Ein regelmässiges gemeinsames Abendessen kann dem Kind helfen, ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu wahren. Bild: monkeybusiness / Depositphotos

«Mama, Papa, warum liebt ihr euch nicht mehr?» Wenn Eltern sich trennen, ist dies für die Kinder keine leichte Situation. Doch der neue Alltag bietet auch Chancen jenseits von veralteten Stigmata.

Entschliesst sich ein Paar dazu, getrennte Wege zu gehen, geht dies immer mit grossen und kleinen Veränderungen einher. Es stellen sich Zukunftsfragen und Unsicherheiten machen sich spürbar. Geht aus der Beziehung eines oder mehrere Kinder hervor, fügt dies der Trennung eine zusätzliche, signifikante Dimension hinzu. Denn Kinder sind vom Auseinandergehen der Eltern direkt betroffen, und doch oftmals zu passive Akteure. Dabei besitzen Kinder durchaus Rechte wie jenes auf Anhörung, das auch in der UNO-Kinderrechtskonvention festgehalten ist. Gemäss Bundesgericht ist eine Kinderanhörung ab dem 6. Altersjahr möglich.

Leben die Eltern eines Kindes getrennt, ruft dies bei manchen Menschen nach wie vor die klischierte und negativ behaftete Assoziation eines Scheidungskinds hervor, welche längst antiquiert ist. Dies belegt auch eine Studie des Wissenschaftlers und Psychologen Jorge Guerra González aus dem Jahre 2022. Der Deutsch-Spanier untersuchte erwachsene Trennungskinder und fand dabei heraus, dass Kinder eine Trennung durchaus gut meistern können, solange die Eltern ihre Konflikte nicht offen vor den Kindern austragen, denn ansonsten kann die Bindung zu einem oder beiden Elternteilen leiden.

Längst keine Ausnahme mehr

Hinzu kommt, dass die Eltern von immer mehr Kindern getrennt leben. Aktuell sind es in der Schweiz rund 13 Prozent, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, was einer Stigmatisierung zusätzlich entgegenwirkt. In knapp zwei Dritteln der Fälle haben die geschiedenen und getrennt lebenden Eltern das gemeinsame Sorgerecht und auch wenn Kinder nur von einem Elternteil betreut werden, haben sie in der Regel trotzdem Kontakt zum anderen Elternteil – nur in knapp einem Zehntel der Fälle besteht gar kein Kontakt.

Weihnachten feiern, aber zum ersten Mal ohne das Mami – eine komische Situation. Bild: SergKovbasyuk / Depositphotos

Diese Zahlen unterstreichen bereits, wie wichtig und im Interesse aller Beteiligter ein Miteinander der Eltern trotz Trennung ist. Auch wenn darob Einigkeit herrscht, so ist der Weg zu einem harmonischen Getrennt-Sein doch mit Hürden verbunden, wobei nicht selten finanzielle Interessenkonflikte im Zentrum stehen. Es gilt, in einem Unterhaltsvertrag einvernehmlich die Höhe des Unterhaltsbeitrages, also der Alimente, sowie die Modalitäten der Zahlung festzulegen. Unverheiratete Eltern benötigen im Falle einer Trennung eine schriftliche Erklärung für die gemeinsame elterliche Sorge, um zu bestätigen, dass sie gemeinsam die Verantwortung für das Kind übernehmen und sich in den zentralen Punkten wie dem Alltag sowie dem Unterhalt verständigt haben.

Getrennt unter einem Dach

Was die konkrete Ausgestaltung des neuen Alltags anbelangt, so sind die Eltern gefordert, denn spielen hierbei zahlreiche Faktoren eine Rolle, die einer raschen Klärung bedürfen. Unter anderem gilt es, die Wohnfrage zu klären, wobei zu Beginn Übergangslösungen unumgänglich sein können. «Es kommt nicht selten vor, dass beide Eltern im Anschluss an die Trennung immer noch in der gemeinsamen Wohnung leben, denn einen Auszug muss man sich leisten können und es gilt, eine Wohnung zu finden», erklärt Ursula Jenal. Sie ist Paartherapeutin bei der Zentralstelle für Ehe- und Familienberatung Zürich und führt seit 25 Jahren eine eigene Praxis für Einzel-, Paar- und Familienmediation. Hat emotional eine Trennung stattgefunden, könne dieses Modell vorübergehend durchaus funktionieren – allerdings ist umso mehr Empathie, Rücksichtnahme und Taktgefühl gefragt, wenn einer der beiden Elternteile eine neue Liebe kennenlernt.

Ein anderer Ansatz, der allerdings eine gewisse finanzielle Potenz voraussetzt, ist das Nestmodell, wie Jenal erläutert. «Dabei wird die gemeinsame Wohnung behalten und gleichzeitig nehmen sich beide Elternteile eine zusätzliche Wohnung.» Mutter und Vater sind dann abwechselnd in der gemeinsamen Wohnung, um sich um die Kinder zu kümmern.

Nicht alles muss auf den Kopf gestellt werden

Eine neue Wohnsituation bringt insbesondere für die Kinder Veränderungen mit sich, bei denen eine Anpassung nicht immer leichtfällt. So kann sich das soziale Umfeld verändern, wenn durch ein Wohnortswechsel die alten «Gspänli» plötzlich zu weit weg wohnen, um sich regelmässig physisch mit ihnen zu treffen. Auch kann das Gefühl der Geborgenheit abhandenkommen, wenn Mama und Papa nicht mehr gemeinsam respektive gleichzeitig für einen da sind und man vielleicht neu an zwei Orten zuhause ist und dadurch nirgends so richtig.

Ursula Jenal ist ausgebildete Familienmediatorin. Bild: zVg

Nicht nur deswegen ist es von zentraler Bedeutung, dass die Eltern das offene Gespräch mit ihren Kindern suchen, ihnen wo möglich Mitsprache und Gestaltungsraum gewähren, beispielsweise bei der Einrichtung des Kinderzimmers in der neuen Wohnung oder bei wem welche Wochentage verbracht werden sollen. Trotz neuer Situation und Umgebung sollen die Kinder ein Gefühl von Sicherheit erfahren dürfen, wobei hier gerade im jüngeren Alter Rituale und festgelegte Abläufe hilfreich sind. «Zum Beispiel ein gemeinsames Abendessen pro Woche oder Monat kann sehr wertvoll sein», veranschaulicht Ursula Jenal. Auch das Einhalten von Vereinbarungen helfe dabei, Sicherheit zu vermitteln, wobei man diese gut ersichtlich in beiden Haushalten schriftlich beispielsweise auf einem Whiteboard festhalten kann.

Die plagende Schuldfrage

Die Kinder mögen schon von verschiedenen Seiten gehört haben, dass sie an der Trennung ihrer Eltern nicht schuld sind, und doch sei es wichtig, dies immer wieder zu betonen, sagt Jenal. «Die Eltern sollten ihren Kindern zu verstehen geben, dass sie beide, obwohl einander nicht mehr liebend, die Kinder immer noch von Herzen lieben und alles tun, um ihnen den Start ins Leben trotz Trennung vollumfänglich zu ermöglichen.»

Befindet sich nur einer der beiden Elternteile wieder in einer Beziehung und der andere ist zumindest scheinbar alleine und einsam, kommt es vor, dass sich Kinder verantwortlich für ihren Vater oder ihre Mutter fühlen und dabei auch Aufgaben übernehmen, die sie nicht müssten. Dadurch stellen sie Eigeninteressen hinten an, was gerade im Teenageralter suboptimal sein kann, wenn es eigentlich darum gehen sollte, sich und seine Persönlichkeit kennenzulernen. In diesem Fall ist auch der alleinlebende Elternteil gefordert, wie die Mediatorin und Paartherapeutin betont: «Natürlich braucht es Geduld und Empathie, doch sollte man nicht zu lange in der Opferrolle verharren und bei Bedarf therapeutische Unterstützung in Anspruch nehmen, damit man lernt, sich den Kindern gegenüber nicht als allzu schwach, minderwertig und nur als Verlierender zu zeigen.»

Wenn sich die Eltern in den Haaren liegen, belastet dies die Kinder stark. Bild: Wavebreakmedia / Depositphotos

Am wichtigsten in diesem Zusammenhang sei aber wohl, dass kein Elternteil schlecht über den anderen spricht, damit die Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt geraten, den im Moment Abwesenden zu verurteilen oder nicht mehr lieben zu dürfen oder können. «Dies kam bei Trennungen und Scheidungen ab den 1960er- bis in die 1990er-Jahre deutlich öfter vor», erinnert sich Jenal. Seit Trennungen aber alltäglicher und weniger dramatisch geworden sind, sei dieses Aufbauen von Fronten, bei denen Eheleute jahrzehntelang nicht mehr miteinander sprechen, praktisch verschwunden.

Vorsorge hilft auch in der Beziehung

Kommt hinzu, dass eine Trennung keineswegs als Worst-Case-Szenario angesehen werden sollte. Für die Kinder wesentlich belastender ist oftmals die Konstellation, wenn die Eltern vermeintlich dem Nachwuchs zuliebe zusammenbleiben, doch im Dauerstreit liegen oder sich anschweigen. Diese Situation kann bleiern auf den Schultern der Kinder liegen und Eskapismus, in welcher Form auch immer, fördern.

Ursula Jenal ist überzeugt davon, dass in der Beziehungspflege Prophylaxe hilft – ähnlich wie bei der Dentalhygiene oder der Mammographie zur Früherkennung von Brustkrebs. «Idealerweise arbeitet man beispielsweise mit regelmässigen Beziehungs- respektive Familien-Check-ups an seiner Beziehung, bevor es kriselt.» So können die gegenseitigen Bedürfnisse wahrgenommen werden und auch im Raum stehende Zukunftsfragen mit professioneller Unterstützung diskutiert werden.